„Ressource Mensch“: Lösungsansätze für die Fachkräfteoptimierung im Baugewerbe __

„Ressource Mensch“: Lösungsansätze für die Fachkräfteoptimierung im Baugewerbe
23. Januar 2023 3 min.

Gute Fachkräfte sind am deutschen und internationalen Arbeitsmarkt schwer zu finden. Studien und Kurzberichte des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V. (ifo Institut) oder des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) belegen, dass sich Arbeitgeber aus allen Branchen mit diesem Umstand auseinandersetzen. Die zentrale Fragestellung: Wie kann eine langfristige Lösung aussehen?

Mit der Betrachtung der knappen „Ressource Mensch“ haben sich auch die Teilnehmer des Industrietags 2022 des Industrieverbands Technische Gebäuderüstung Nordrhein-Westfalen e.V. (ITGA NRW) beschäftigt. Der Vortrag des aquatherm Geschäftsführers Dirk Rosenberg rückte die Perspektive von der allgemeinen Fragestellung auf die Herausforderungen des Baugewerbes.

In diesem Beitrag geben wir Ihnen einen Überblick über den Status quo des Fachkräftemangels in allen Branchen, gehen auf die Entwicklung des Baugewerbes ein und skizzieren mögliche Lösungen für den optimalen Einsatz der „Ressource Mensch“ und welche Rolle ein Mix aus einfacherer Technik, neuer Arbeitsteilung und die Standardisierung von Komponenten dabei spielt.

Der Status quo im Baugewerbe und darüber hinaus

Bereits im August 2022 stellte das ifo Institut fest, dass die Nachfrage nach Fachkräften in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht hatte. Dieses Ergebnis geht aus den Erhebungen hervor, die das Institut zum Thema Konjunktur seit 2009 durchführt. Im Juli 2020 waren 49,7 Prozent der befragten Unternehmen auf der Suche nach Fachkräften. Damit wurde der Rekord vom April 2020, der bei 43,6 Prozent lag, übertroffen.

Nicht nur Dienstleister sind vermehrt auf der Suche nach weiteren Fachkräften; auch Beherbergungsbetriebe und Veranstaltungsbetriebe benötigen weitere Unterstützung. 44,5 Prozent der verarbeitenden Gewerbe, die an der ifo-Umfrage teilnahmen, fehlen wichtiges Personal. Der Bau, der Einzel- und Großhandel versuchen ebenfalls, Fachkräfte zu finden.

Laut dem Kurzbericht des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), der im August 2022 veröffentlicht wurde, befinden sich unter den Top Ten der Berufe mit den größten Fachkräftelücken die drei Handwerksberufe Bauelektrik, Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik sowie Kraftfahrzeugtechnik. Gleichzeitig ist die Kapazitätsauslastung im Handwerk hoch. Der demografische Wandel führt zu zusätzlichen Ressourcen-Verlusten.

Eine Studie aus dem Jahr 2022 des britischen Construction Industry Board (CITB), der Branchenrat für berufliche Qualifikationen und das Ausbildungsgremium für die Bauindustrie, stellte im britischen Baugewerbe die Deckung des Personalbedarfs ebenfalls als Herausforderung für das Baugewerbe fest. Ähnliche Entwicklungen belegte ein Report des amerikanischen Dodge Construction Networks in Zusammenarbeit mit InfoTech und Hexagon.

Veränderungen durch die Pandemie

Laut einem weiteren Kurzbericht „Sorgenkind Gastro? Berufswechsel in der Corona-Pandemie“ des IW entstanden in zahlreichen Branchen starke Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. So war der Bereich Tourismus, Hotel und Gaststätten davon besonders betroffen.

Denn etwa 216.000 Arbeitnehmende verließen dieses Berufsfeld im Jahr 2020 – viele von ihnen fassten Fuß in anderen Bereichen wie dem Verkauf. Das sind etwas mehr als jeder Vierte, der sich für einen neuen Beruf entschied. Damit hatte kein anderer Berufsbereich so viele Beschäftigte verloren wie der Tourismus-, Hotel- und Gaststättenbereich. Auch in anderen Berufszweigen wie beispielsweise in kleinen Betrieben im Lebensmittelhandwerk wurde Personal frei.

Die Frage, die Dirk Rosenberg an diesem Punkt seines Vortrags den Teilnehmenden stellte, lautete: Wie bekommen wir diesen beiden Fakten – den Mangel an Fachkräften und das Angebot an potenziellen Kräften aus anderen Berufszweigen – zusammen zu einer Lösung für das Baugewerbe?

Fakt ist: Oftmals können notwendige Prozesse auf den Baustellen nicht oder nur stark zeitverzögert umgesetzt werden. Für eine angemessene Qualität bei Montagetätigkeiten fehlen Kapazitäten. Es fehlen einfach die passenden Menschen – das Fachpersonal.

Dirk Rosenberg beim Industrietag 2022 des Industrieverbands Technische Gebäuderüstung Nordrhein-Westfalen e.V. (ITGA NRW)

Trotz des Einsatzes aller digitalen Tools von der Planung mit BIM über die Erstellung eines Objekts bis zur Instandhaltung im Betrieb wird die Ressource Mensch zum limitierten Gut, zum Flaschenhals.“ – Dirk Rosenberg

 

Mögliche Lösungsansätze für das Baugewerbe

Im internationalen und nationalen Baugewerbe gibt es unterschiedliche Herangehensweisen und Ansätze für die Fachkräftesicherung.

Die digitale Transformation als Impulsgeber

Laut dem Civil Quarterly Report des amerikanischen Unternehmens Dodge Construction Network aus dem September 2022 helfen Technologien Unternehmen aus dem Baugewerbe dabei, den Mangel an Fachkräften zu lindern, indem Arbeitnehmer gestärkt und die Produktivität der Unternehmen gesteigert werden.

Mithilfe der Nutzung modernster Technologien, die auch vermehrt auf der Baustelle genutzt werden, können Betriebe die Leistung ihrer vorhandenen Arbeitskräfte optimieren und ihre Ressourcen besser ausschöpfen.

Fachkräftesicherung und Anwerbung neuer Mitarbeiter mithilfe starker Unternehmenswerte

Das Baugewerbe hat viel zu bieten. Doch diese Botschaft ist bei den Arbeitnehmern, die nicht in diesem Bereich arbeiten und eine berufliche Veränderung anstreben, noch nicht angekommen.

Nur zwei Prozent der CITB-Studienteilnehmer, die in einer anderen Branche arbeiten, gaben an, dass sie in Betracht ziehen, ins Baugewerbe zu wechseln. Das britische Construction Industry Board hat herausgefunden, dass Unternehmen für diese Fachkräfte interessanter und relevanter werden können, wenn sie ihre Recruiting-Maßnahmen an den Werten ausrichtet, für die das Baugewerbe steht. Dazu zählen beispielsweise Stabilität, Sicherheit, Vielseitigkeit der Arbeit, die Möglichkeit für Mitarbeiter mitzuwirken und die Chance, sich zu spezialisieren und Experte zu werden.

Die industrielle Vorfertigung als Lösungsansatz

Neben dem Ansatz, mit starken Unternehmenswerte auf sich aufmerksam zu machen, können auch im Prozessbereich Lösungen gefunden werden. Eine Möglichkeit ist die industrielle Vorfertigung.

Die „Ressource Mensch“ kann mithilfe der Vorfertigung aufgefangen werden: Mit individuellen Weiterbildungen können Menschen schnell in bestimmte industrielle Bereiche integriert werden. Dies ist auch für erfahrenere Fachkräfte möglich, die beispielsweise aufgrund ihres Alters oder aus körperlichen Gründen nicht (mehr) auf der Baustelle arbeiten können.

Dirk Rosenberg ist der Auffassung, dass es wesentlich einfacher ist, diese wertvollen Menschen in einer kontrollierbaren Atmosphäre in einem Industriebetrieb zu effizienten Kollegen zu entwickeln, denn

  • es braucht nur eine überschaubare Einarbeitungszeit, um einfache standardisierte Fertigungsschritte durch nicht spezialisierte Personen zu realisieren.
  • die neuen Baubranchen-Kollegen können Standards einfach und schnell herstellen, welche dann auf der Baustelle von den Fachkräften zusammengeführt werden.

Mit diesen Lösungsansatz entstehen komplett neue Berufsbilder.

Fachkräfte können auf diese Weise „entspannter“ den täglichen Anforderungen in sehr anspruchsvollen Prozessen einer Baustelle entgegentreten sowie Planungen, Zeichnungen oder Funktionsprüfungen durchführen.

 

Fazit: Optimierung der „Ressource Mensch“

Es geht nicht darum, Arbeitnehmende aus anderen Branchen abzuwerben. Vielmehr geht es um eine Optimierung der „Ressource Mensch“ in der Supply Chain.

Dirk Rosenberg zitierte zum Abschluss seines Vortrags Architekt Emanuel Homann, der beim letzten ITGA NRW Wirtschaftsforum teilgenommen hatte und für den es wichtig ist, alle Prozesse neu zu denken: Dabei müssen wir am Lebenszyklus eines Gebäudes den Mut haben, etwas zu wagen.

„Wir alle tragen eine große Verantwortung. Wir sind alle ein Teil der Lösung. Wie wir in den kommenden Jahren handeln, wird der nächsten Generation und möglicherweise auch dem nächsten Jahrhundert den Stempel aufdrücken.“ – Dirk Rosenberg